Stellt euch einmal vor, ihr sucht euch einen neuen Job. Ihr findet ein Unternehmen, welches euch absolut zusagt: mit den Werten könnt ihr euch identifizieren, die Unternehmenskultur scheint sehr auf Mitarbeiter:innen ausgerichtet zu sein und es gibt genau einen Job in dem ihr euch komplett seht. Ihr seid quasi in der ersten Verliebtheitsphase. Ihr prüft also euren CV, schreibt vielleicht noch ein Motivationsschreiben und justiert eure Social Media Profile. Nachdem ihr das getan habt, sendet ihr die Bewerbung über das Onlineformular an das Unternehmen. Direkt nach dem Drücken auf „Absenden“ hört ihr das Ping aus eurem Postfach – eine automatische Eingangsbestätigung. Ihr lest diese, freut euch, dass die Bewerbung eingegangen ist und verweilt in eurem Hochgefühl des Verliebtseins.
Und dann passiert – nichts. Ihr wartet, wartet und wartet… Eine Woche vergeht, die zweite und die dritte Woche – nichts. Urplötzlich kommt dann eine E-Mail von diesem Unternehmen, mit einer Absage. Ihr habt nie mit diesem Unternehmen gesprochen, sondern wurdet nur durch euren CV bewertet. Vielleicht stehen in der Absage Sätze wie „Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir Sie nach sorgfältiger Prüfung dieses Mal nicht für den weiteren Auswahlprozess berücksichtigen können.“ oder „Trotz dieser Absage hoffen wir, dass du uns in positiver Erinnerung behältst (…)“. Nun sind Wochen vergangen, ihr wart in freudiger Erwartung und dann ist ein kleiner Traum geplatzt. Also alles wieder von Vorne…
Genau das habe ich getan.
Das Experiment
Unternehmen klagen über Fachkräftemangel, suchen oftmals händeringend nach neuen Mitarbeiter:innen. Auf der anderen Seite höre ich von Menschen, die nicht die richtigen Unternehmen und Aufgaben finden. Zudem gibt es Studien, die besagen, dass nur jeder dritte (!) Mensch im Unternehmen die eigenen Potentiale entfalten kann (Quelle: XING).
Wenn ich mir dann Unternehmen anschaue, wie sie ihre Werte darstellen, wie sie suchen und wie das dargestellte Gesamtbild ist, dann muss ich dem also weiter auf den Grund gehen: ich schlüpfe in die Rolle eines Bewerbers und starte (dazu später mehr) den Bewerbungsprozess. Mystery Shopping ist euch vielleicht schon mal über den Weg gelaufen – genau so habe ich es auch gemacht. Ich habe also ein Experiment mit dem Titel „Mystery Bewerbung“ gestartet.
Das Ziel
Mein Ziel ist kein Unternehmensbashing! Mein Ziel ist eine externe Betrachtung und den Unternehmen das entsprechende konstruktive Feedback geben zu können, damit sich hieraus etwas verändern kann. Denn Bedarf an Veränderung ist definitiv vorhanden!
Natürlich soll dies aber nicht nur für die getesteten Unternehmen gelten. Ich will allen Unternehmen, aber auch Bewerbenden, Menschen mit Personalverantwortung und Personalabteilungen eine Möglichkeit der Selbstreflektion an die Hand geben.
Dies ist der erste von drei Beiträgen. In diesem wird es um meine persönliche Erfahrung gehen. Im zweiten Beitrag wird es um bewerbende Menschen und deren Erfahrungen gehen und im dritten Part um die Sichtweise der rekrutierenden Menschen.
Der Aufbau
Ich habe mich als ich selbst beworben. Kein Fakeprofil, keine Beschönigung, keine Unwahrheiten, sondern einfach ich. Meinen CV habe ich aktualisiert und mein LinkedIn- und XING-Profil ist gepflegt.
Die Positionen entsprechen in etwa meinen Erfahrungen, bzw. waren es immer Tätigkeiten, die ich entweder schon einmal ausgeführt hatte, die ich mir zukünftig vorstellen könnte (rein hypothetisch!) oder die einfach zu meinem aktuellen Profil passen. Es waren also aus meiner Sicht Optionen, die ich mir real vorstellen hätte können.
Zeitlich habe ich für mich abgegrenzt, dass ich nur bis zum ersten Kontakt (Nachfrage Absage, bzw. Vereinbarung des ersten Interviews) gehe und dann den weiteren Prozess beende. Denn ich will natürlich nicht die Zeit von anderen Menschen überstrapazieren.
Die Unternehmen kommen aus unterschiedlichen Branchen, aber immer mit dem Bezug zu mir und meinem Profil, also aus meinem Umfeld.
Durchführung
Im ersten Schritt habe ich Unternehmen gesucht, die ich interessant finde und die auch entsprechende Positionen suchen.
Zahlen, Daten und Fakten
Insgesamt waren es 15 Unternehmen aus neun (9) verschiedenen Branchen:
- Energie
- Handel
- IT
- Multichannel Marketing
- Internet
- Telekommunikation
- Portalanbieter
- Beratung
- Maschinen- und Anlagenbau
- Personalwesen & -beschaffung
Ich habe zu jedem Unternehmen kurz bei Kununu vorbei geschaut und mir den jeweiligen Score angeschaut. Das Unternehmen mit dem schlechtesten Score lag bei 3,1 und das beste bei 4,3. Der Durchschnitt liegt bei 3,84 (von 5 möglichen Punkten). Somit habe ich mich immer im oberen Rahmen bewegt.
Die Unternehmensgrößen liegen zwischen ca. 200 bis über mehre tausend mitarbeitende Menschen.
Bewerben
Bei allen Unternehmen war eine Onlinebewerbung möglich. Sehr oft kam ein Import (bspw. LinkedIn) und ein Upload des CV zum Einsatz. Die Bewerbungen waren somit meist schnell und einfach möglich. Einige Unternehmen haben mit externen Anbietern (Registrierung und LogIn) gearbeitet. Das ist einerseits von Vorteil, andererseits bedarf es ein wenig Organisation: ich habe einen Passwort-Manager. Da der externe Anbieter fast immer der gleiche war, war auch die Webseite der Domain identisch. Somit musste ich hier sehr genau arbeiten, um Passwörter nicht zu überschreiben. Das ist einfach ein organisatorisches Problem auf Seiten der Bewerbenden.
Nach der Absendung habe ich bei 14 Unternehmen eine automatische Mail erhalten, die mir den Eingang meiner Bewerbung bestätigte. Einzig ein Unternehmen hatte mir einen Tag später eine E-Mail mit dem detailliert beschriebenen Vorgehen und dem aktuellen Stand gesendet. Hier war also bereits ein Unterschied merklich.
Insgesamt waren die automatisierten E-Mails sehr standardisiert und wirkten teilweise sehr ähnlich. Die Wirkung war von professionell, über persönlich, nicht greifbar (wie Fahrstuhlmusik) bis hin zu sehr distanziert.
Manche Textbausteine kamen bei mir aber negativ an „Sollte dein Profil unseren Anforderungen entsprechen“. Auch negativ war, dass ich oft mit kompletten Namen angesprochen wurde. Das wirkt einfach immer unspezifisch und nicht nach „ich gebe mir Mühe den Standard richtig zu konfigurieren“. In einem anderen Beispiel wurde auf die Wartezeit aufgrund von COVID-19 verwiesen. Dabei hat mich der Satz „Wir bei XYZ konzentrieren uns darauf, die Bedürfnisse unserer Kunden bestmöglich zu erfüllen.“ irritiert – ich bin Kunde?
Interessant ist, dass fast alle Unternehmen in ihren Standardmails die Aussage treffen, dass es so viele Bewerbungen gibt und eine Rückantwort länger dauern kann. Gibt es nur so wenige Fachkräfte und so viele Menschen, die keine Ahnung haben? Müssen so viele Stellen besetzt werden? Ist gerade eine hohe Fluktuation? Oder sind die Personalabteilungen überarbeitet? Solche Fragen kommen hier direkt auf.
Ab jetzt hieß es warten…
Die Reaktionen
Der Durchschnitt der Reaktionen (Absage oder Einladung zum nächsten Schritt) lag bei 16 Wochentagen. Die schnellste Reaktion kam nach zwei (2!) Tagen (Einladung zu einem Interview). Die langsamste kam mit einem Telefonanruf nach 49 Wochentagen. Der Anruf war aber nicht die Absage, sondern lediglich die Nachfrage, ob ich auch an einer anderen Stelle interessiert sei. O-Ton „mit der anderen Position hat es ja leider nicht geklappt, aber wir hätten eine andere Position zu der ihr Profil passen würde“ – eine schriftliche Absage, trotz Portal, hatte ich nie erhalten.
Die Einladungen zu einem Interview habe ich direkt beendet und kurz über dieses Experiment aufgeklärt. Sie waren standardisiert, aber in diesem Fall hat das positive Gefühl überwogen – ich war ja „einen Schritt weiter“.
Die Absagen waren viel interessanter: sie waren alle standardisiert. Teilweise haben sich die Textbausteine nicht nur geähnelt, sondern sie waren identisch (Beispiel „Wir haben eine Vielzahl sehr qualifizierter Bewerbungen auf die Stelle erhalten und uns die Entscheidung nicht leicht gemacht.“). Es gab aber auch Ausreißer, die in einem Bewerbungsprozess (ein Bewerbender hat schließlich Interesse an der Zusammenarbeit!) sich nicht wertschätzend angefühlt haben. Aussagen wie „Wir wünschen Ihnen für Ihre berufliche und private Zukunft alles Gute“ empfand ich als „Türe schließen“. Diesen Text kenne ich aus Zeugnissen, wirkt hier aber deplatziert. Auch „Wir haben Sie gerne kennengelernt und freuen uns über Ihr Interesse an einer Karriere bei uns“ im Kontext mit einem CV und keinem persönlichen Gespräch kommt bei mir nicht wertschätzend an.
Am besten fand ich aber, wenn Unternehmen von einer „Do-not-Reply“ E-Mail schreiben. Damit wird mir als Bewerbender jegliche Möglichkeit des Dialogs genommen. Wenn ich dann auch noch Werte auf der Webseite wie „Transparenz“, „Wertschätzung“ und „Mensch im Fokus“ finde, dann stelle ich das hier direkt in Frage. Und solche Werte haben fast alle Unternehmen in unterschiedlichen Ausprägungen auf ihrer Seite. Mir scheint, dass beim Bewerbungsprozess die Werte oft einfach vergessen wurden.
Was mich insgesamt immer irritiert ist, dass oft keine Konsistenz zwischen „Du“ und „Sie“ herrscht. Es wird munter gewechselt und manchmal sogar die direkte Ansprache umgangen. Das wirkt ebenfalls nicht wertschätzend.
Nachfrage
Bei allen Absagen (außer wenn die Mail von einer „Do-Not-Reply kam) habe ich nachgefragt (Warum eine Absage?). Die Durschnittsantwortzeit lag da bei 7 Wochentagen. Aber: von zehn (10) Unternehmen, bei denen ich nachgefragt hatte, hatte ich nur von fünf (5) Unternehmen eine Antwort erhalten. Die Hälfte! Das ist erschreckend.
Positiv war, dass ein Unternehmen sehr ausführlich geantwortet hat und auf mich eingegangen ist. Das war aber leider die Ausnahme.
Sonstiges und Kurioses
Ich habe sehr oft mein LinkedIn- oder XING-Profil angegeben. In der gesamten Zeit war ein Unternehmen auf meinem Profil. 14 Unternehmen nicht. Das finde ich auch eine interessante Information und zeigt durchaus, dass Social Media scheinbar nicht relevant ist.
Kurios war ein Unternehmen, das auf meine Absage mit einer tollen E-Mail geantwortet hat: „Du hältst mich jetzt wahrscheinlich für verrückt, aber ich habe dir leider eine falsche Mail gesendet. Das tut mir wirklich wahnsinnig leid und ich weiß, dass dies keine gute Candidate Experience ist.“ – ich wurde zu einem Interview eingeladen. Dies ist ein wunderbares Beispiel für eine nahe, offene und menschliche Kommunikation. Ich habe mich hier, trotzt des Fauxpas wertgeschätzt gefühlt. Auch der weitere Austausch war toll. Danke an dieser Stelle!
Ein anderes Unternehmen hat mir eine Mail geschickt mit „Liebe/-er Kollegin/-e, vielen Dank für die Empfehlung deines Bekannten/ deiner Bekannten.“ – das hatte mich ein wenig verwundert. Wenn ich etwas falsch ausgefüllt haben sollte (ich gehe jetzt einfach mal davon aus), gab es scheinbar keinerlei Prüfung (Verwendung der Unternehmens-E-Mailadresse). Das wirkte irgendwie deplatziert.
Fazit & Appell
Ich bin froh, dass ich mich nicht in dieser Phase befinde. Bewerbende suchen sich ein Unternehmen aus, begeistern sich, senden ihre Bewerbung ab und warten dann. Es kommt eine E-Mail und dann kommt ein standardisierter und vielleicht auch noch distanzierter Text. Das demotiviert und schlaucht. Wenn dann noch auf Nachfragen keine Antworten kommen, oder ich gar nicht nachfragen kann, dann wirkt das sehr desinteressiert. Es wird schlimmer, wenn auf den Unternehmensseiten Werte wie beispielsweise „Mensch im Fokus“, „Offenheit“ oder „Transparenz“ zu finden sind. Dadurch wirkte es auf mich so, als wenn manche Unternehmen im Bewerbungsprozess andere Werte anlegen. Wie das auf Bewerbende wirkt? Das betrachte ich im zweiten Teil.
Ich will aber auch noch an die Unternehmen mit solchen Prozessen und Vorgehen (wie beschrieben) appellieren: überlegt euch doch bitte, wen und was ihr sucht. Ein CV ist ein Dokument. Wenn ihr Werte wie „Mensch im Fokus“ vertreten wollt, dann solltet ihr das auch im Bewerbungsprozess zeigen. Natürlich habt ihr viel zu tun. Aber genau hier gehen euch Menschen verloren, die vielleicht zu euch passen würden. Macht die Türen auf und zeigt Interesse. Lebt und vertretet eure Werte bereits zu Beginn. Denn dann ist auch der Fachkräftemangel vielleicht nicht mehr so schlimm bei euch.
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