Zur Münchner Sicherheitskonferenz 2022 begegnete dem geneigten Interessierten auf den sozialen Netzwerken ein Foto, welches 30 Männer in Anzügen an einem U-förmigen Tisch zeigt. Diversität war das nicht wirklich.
Kurz zuvor hatte ich auf einer Unternehmenswebseite zwei Stellenbeschreibungen gefunden, die zum einen eine kleine Diskussion auf LinkedIn und zum anderen den Missstand von nicht gelebten Unternehmenswerten aufgezeigt haben. In diesem Fall geht es sogar noch weiter, denn es geht auch um gelebten und alltäglichen Sexismus. Aber von Vorne.
Das Unternehmen und die eigenen Werte
Seit gut einem Jahr benutze ich das Beispiel eines größeren Handelsunternehmens. Darin geht es um den propagierten und prominent platzierten Unternehmenswert “Diversity”. Dieser ist sehr stark auf der Webseite vertreten und wird als sehr wichtig angesehen. Beispielsweise wird folgender Satz erwähnt “Wir fördern die berufliche Chancengleichheit von Männern und Frauen”.
Ein toller Unternehmenswert und starke Ansichten, die dieses Unternehmen vertritt. Wäre da nicht die andere Seite der Medaille.
Das Unternehmen und die offenen Stellen
Als ich bei den offenen Stellen vorbeischaute, fand ich – auf der gleichen Seite – die zwei offenen Vakanzen “Abteilungsleiter (m/w/d)” und “Kassiererin (m/w/d).
Nein, ich hatte mich nicht verschaut. Es ist ein so tolles Beispiel, wie die dargestellte Unternehmenskultur nicht der gelebten Realität entspricht. Denn wenn alle Menschen im Unternehmen diesen Wert leben würden, wäre das nie, niemals passiert. Hier auch ein kleiner Lesetipp: Stellengesuche sind der Spiegel der Unternehmenskultur.
Bei längerem darüber Nachdenken wird bewusst, dass dieses Unternehmen (stellvertretend für viele andere Unternehmen) Werte definiert hat, die eben nicht gelebt werden. Aber es gibt nunmal gelebte Werte – in diesem Fall wäre es sehr interessant zu erfahren, welche das wirklich sind.
Wohlgemerkt, dies war vor einem Jahr. Ich hatte einen Menschen aus dem Personalbereich darauf aufmerksam gemacht. Er meinte, dass noch nicht alles umgesetzt wurde. Soweit so gut. Ich habe dieses Beispiel sehr oft in Workshops und bei meinen Coachees genutzt. Manchmal war ich mir nicht sicher, ob mir dieses Beispiel auch geglaubt wurde. Vergangene Woche (15.02.2022) schaute ich mal wieder bei dem Unternehmen vorbei, weil ich mir anschauen wollte, was und wie sich alles verändert hat.
Das Unternehmen heute
Die Position “Abteilungsleiter (m/w/d)” habe ich nicht gefunden. Aber dafür diese beiden:
Es wird immer noch nach “Kassiererin (m/w/d)” gesucht. Die andere Position wird im generischen maskulin gesucht. Im Übrigen gibt es nur eine weitere feminin ausgeschriebene Stelle. Dabei handelt es sich dann um die “Aushilfe Kassiererin (m/w/d)”. Alle (!) anderen Stellen sind im generischen maskulin gehalten.
Veränderung nicht vorhanden. Wert Diversity? Gibt es im Marketing, aber nicht im gelebten Alltag.
Diskussion und Sexismus
Eingangs erwähnte ich bereits, dass ich dies auf LinkedIn geteilt hatte und hier auch eine Diskussion entstand. Viele Menschen waren erstaunt und ein wenig entsetzt. Persönlich fand ich das gefallene Wort “entlarvend” so treffend.
Es gab aber auch andere Kommentare, die eben genau diesen gelebten, versteckten und alltäglichen Sexismus wunderbar darstellen lassen.
Ein männlicher Kommentator lenkte vom Thema ab (es ging in meinem Beitrag und den Wert “Diversity” und die nicht dazu passenden Stellengesuche), indem er darauf hinwies, dass wir lieber “90 % der Energie in die Zimmermannsfrauburschinnen und Krankenschwester*innen verwenden sollten”. Ein anderer Kommentator meinte dann, dass dieses ständige darauf herumreiten auf Diversität und Women-Empowerment nicht passt. Denn aus seiner Sicht lassen sich “Powerfrauen” nicht von der “fehlenden korrekten Gendersprache in Ihrer Jobauswahl beindrucken oder es gar als störend / diskreditierend empfinden”.
Im weiteren Diskussionsverlauf meinte der Kommentator, dass sich nur Männer diesem Thema (Diversität, Gleichberechtigung, Gleischstellung, Genderpaygap, etc.) annehmen und seine Erfahrung im “Reallife” ein ganz anderes Bild aufzeigt. Da gibt es also keinen Sexismus, sondern nur “eher ein fundierter glauben an tolle Frauen die nicht erst seit gestern auf dieser Welt unterwegs sind”.
Damit ist also ein Problem aus der Welt geschafft: es gibt keinen Sexismus mehr! Nur “Powerfrauen”, die wissen was sie wollen! Und diese lassen sich dann nicht beirren, bewerben sich dennoch auf diese Stellen und wir treffen also nur noch auf Gleichberechtigung und beispielsweise auf eine gleichberechtigte Verteilung bei Führungskräften und Vorstandspositionen – oh, wait… Das Bild von der Sicherheitskonferenz zeigt etwas anderes. Egal, Sexismus kann es also nur dann sein, wenn er offenkundig ist. Alltäglicher Gebrauch (Sprache) oder dann eben im Unternehmen mit marketingorientierten aber nicht gelebten Werten wird wohlgetrost ignoriert.
Leider erklärt sich dadurch auch, wie das Unternehmen auf diese Art der Ausschreibung kommt. Dabei ist es eben nur eine Erklärung, keine Entschuldigung!
Und es zeigt auch wunderbar auf, warum Sprache so wichtig ist. Warum wir uns über Werte Gedanken machen sollten, gar müssen. Und warum Unternehmenswerte nicht bloß reines Marketinggeschwätz sind.
Was wir machen können – und sollten
Bei dem einen Kommentator fand ich die Aussage sehr schön, dass wir mehr über “Menschen” sprechen sollten. Guter Ansatz. Denn gerade Sprache setzt Bilder in unseren Köpfen frei. Ein Beispiel: meine Tochter ist drei Jahre alt. Sie fragte meine Frau, was mit dem Radio sei. Meine Frau meinte, dass das Radio kaputt ist und man es mal reparieren müsste. Meine Tochter fragte darauf “Mann ist?”. Da wurde direkt eine Verknüpfung geschaffen. Seitdem fragt sie, wenn etwas kaputt ist, ob wir es dann zum “Mann zum reparieren” bringen würden. Sprache…
Und auch die Werte, die Haltung und das Verhalten dazu sind so wichtig. Denn wenn wir schon die (immer vorhandenen!) Werte sichtbar werden lassen (Lesetipp: Wertvoll), dann sollten wir uns auch daran halten und unser eigenes Verhalten darauf überprüfen. Und bei Bedarf korrigieren.
Und bitte, Werte, die am Reißbrett entstanden sind, sollten dorthin verschwinden, wo sie hingehören: in den Papierkorb. Denn jedes Unternehmen hat tolle Werte, bei denen es sich lohnt diese nach außen zu tragen!
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