Ursprünglich lautete die Frage „Was kostet Recruiting?“. Ich hatte aus zahlreichen Postings und Kommentaren in diversen sozialen Netzwerken und persönlichen Gesprächen gemerkt, dass da scheinbar ein schwarzes Loch an Wissen herrscht. Dem bin ich im letzten Quartal 2022 auf den Grund gegangen.
Anfang 2023 habe ich dann einen Kalkulator für Kosten und Gewinnverluste entwickelt und nach Testkandidaten gesucht. Da ich hier nicht nur Recruiting, sondern auch die bereits im Unternehmen arbeitenden Menschen betrachte, musste ich den Titel dieses Artikels einfach erweitern.
Freut euch also auf Zahlen und Erfahrungen von Menschen dazu.
Disclaimer: ich werde wie immer nur anonym berichten. Auch liegt es mir sehr am Herzen, gegenüber Unternehmen und/oder Abteilungen (Personalbereichen, Recruiting, Active Sourcing, etc.) kein Bashing zu betreiben. Denn es gibt nicht „DIE Schuldigen“. Denn wir alle sind an Lösungen beteiligt.
Einleitung
Im Dezember habe ich eine kleine Umfrage gestartet. Ich habe nachgefragt, wer die genauen Kosten für eine Stellenanzeige (inkl. (Arbeits-) Zeit, Geld und Nerven) kennt. Ein Drittel meinte diese zu kennen, der Rest nicht.
Aufgrund dessen habe ich kurze Interviews mit 47 Menschen im Recruiting geführt. Die Branchen sowie die Unternehmensgrößen waren dabei sehr heterogen (einzige Ausnahme: es waren keine Konzerne dabei).
In diesem Jahr habe ich dann den genannten HR-Kalkulator* entwickelt. Auch hierzu habe ich nach Testkandidaten gesucht und zahlreiche Interessierte (41) gefunden. Hier waren die Unternehmen heterogen und von ganz klein bis zu Konzernen war ein breites Spektrum vertreten.
Die Fragen
Zum Recruiting habe ich im Kern die immer gleichen Fragen gestellt:
- Ist bekannt, was die Kosten von „Fachbereich stellt fest, dass ein neues Talent benötigt wird“ bis hin zu „Erstellung Stellenanzeige“ an Kosten anfällt?
- Ist bekannt, was die Kosten von „Fachbereich stellt fest, dass ein neues Talent benötigt wird“ bis hin zu „Talent fängt an“ (exklusive Onboarding!) an Kosten anfällt?
- Wie setzen sich die jeweiligen Kosten zusammen?
- Wie viel Zeit nimmt es jeweils in Anspruch (eigene Zeit, aber auch die von allen Beteiligten (exklusive Talente))?
- Wie viele Menschen sind involviert?
Beim Kalkulator werden genau drei Fragen benötigt:
- Wie viele Mitarbeitende habt ihr?
- Wie viele Neueinstellungen sind für die nächsten 12 Monate geplant (ohne Replacement)?
- Wie viel Umsatz pro Jahr macht ihr?
Ergebnisse
Ich falle direkt mit den ersten Ergebnissen ins Haus: von den 47 Menschen kannten neun Menschen die ungefähren (!) Kosten. Das sind ca. 20%. Der Großteil (80%!) kannte die Kosten nicht und konnte diese auch nicht ungefähr beziffern!
„Wir wissen nicht, was der Stellenanzeigen-Erstellungsprozess kostet.“
Recruiting
Ein ähnliches Bild zeigte sich beim HR-Kalkulator: auch hier konnten ca. 20% eigene Zahlen einbringen – aber bei weitem nicht in allen Bereichen. Die meisten Zahlen sind im Unternehmen nicht bekannt und werden auch gar nicht erhoben.
Zahlen als Angebot
Im Recruiting habe ich allen Interviewten für zwei Fragen die entsprechenden Zahlen angeboten:
- Ist bekannt, was die Kosten von „Fachbereich stellt fest, dass ein neues Talent benötigt wird“ bis hin zu „Erstellung Stellenanzeige“ an Kosten anfällt?
- Ist bekannt, was die Kosten von „Fachbereich stellt fest, dass ein neues Talent benötigt wird“ bis hin zu „Talent fängt an“ (exklusive Onboarding!) an Kosten anfällt?
Wichtige Anmerkung: in den Kosten für die Berechnung, bzw. die Einordnung ist auch immer der „Gewinnverlust“ mit einzuberechnen. Dies berücksichtigt also auch die Kosten die entstehen, wenn ein Fachbereich feststellt, dass ein neues Talent benötigt wird und dadurch bspw. weniger Projekte umgesetzt werden, weniger Vertrieb stattfindet, mehr Arbeit bei Kolleg:innen anfällt, etc.
Diese Kosten sind wichtig, da die Arbeitskraft eines Menschen durchaus eben im Gesamtkontext eines wirtschaftlich agierenden Unternehmens betrachtet werden muss! Und umso länger der „Suchprozess“ dauert, umso höher ist auch der wirtschaftliche Verlust für das Unternehmen.
Beim HR-Kalkulator verhält es sich weitreichender: mit den oben genannten drei Zahlen können sehr viele Berechnungen angestellt werden. Damit ergibt sich ein ganz anderes Spektrum und Wissensquelle für Unternehmen.
Kosten bis zur Stellenanzeige
Für die erste Frage gibt es eine Range zwischen 30-50% des Jahresgehaltes des neuen Talentes. In Deutschland liegt das Durchschnittsjahresgehalt bei EUR 49.260,- (Quelle: DESTATIS) . Somit liegen die Kosten von „Fachbereich stellt fest, dass ein neuer Mensch benötigt wird“ bis zu „Erstellung neue Stellenanzeige“ zwischen EUR 14.778,- bis EUR 24.630,- (Achtung: bundesweiter Durchschnitt!).
Kosten bis zum Start des Talentes
Für die zweite Frage gibt es eine Range zwischen 90-200% des Jahresgehaltes des neuen Talentes. In Deutschland liegt das Durchschnittsjahresgehalt bei EUR 49.260,- (Quelle: Somit liegen die Kosten von „Fachbereich stellt fest, dass ein neuer Mensch benötigt wird“ bis zu „Talent fängt an“ zwischen EUR 44.334,- bis EUR 98.520,- (Achtung: bundesweiter Durchschnitt!).
„Jede fehlende Vakanz kostet ein Unternehmen Innovation und Weiterentwicklung!“
Recruiting
Gewinnverluste
Beim HR-Kalkulator werden folgende zwei Themenblöcke betrachtet:
- Gewinn-/Potentialverlust und Kosten bei Mitarbeitenden
- Krankheitstage
- Keine Potentialentfaltung
- Quiet Quitting
- Innere Kündigung
- Negative Aufgaben
- Gewinn-/Potentialverlust und Kosten bei Neueinstellungen
- Neubesetzungen
- Fluktuation und Neubesetzung
- Kündigung in den ersten 100 Tagen und Neubesetzung
Ich mache mal ein Beispiel: 10 Mitarbeitende, 3 geplante Neueinstellungen und EUR 1 Mio. Umsatz ergeben folgende Ergebnisse
- Gewinn-/Potentialverlust und Kosten bei Mitarbeitenden: 185.785 €
- Gewinn-/Potentialverlust und Kosten bei Neueinstellungen 386.962 €
- Gesamt: Gewinnverlust und Kosten: 572.747 €
„Erst Stillstand, dann Rückschritt und dann weg vom Markt“
Recruiting
Über eine halbe Million Euro Gewinnverlust und Kosten hat dieses Unternehmen pro Jahr. Davon alleine knapp 200.000 Euro bei den Mitarbeitenden.
Diese Zahlen haben überrascht, wurden aber als „plausibel“ eingestuft. Sie waren aber soweit unbekannt. Das sollte jedem Menschen mit Verantwortung im Unternehmen zu denken geben.
Erkenntnisse
Vorweg: 20% der Unternehmen kennen ungefähr die Zahlen zu den eigenen Kosten und Gewinnverlusten im Unternehmen. Wobei die Gewinnverluste meistens auch hier nicht bekannt, bzw. in eine Betrachtung mit einbezogen werden. Dagegen wissen 80% nicht, welches Potential sie verschenken. Und es erklärt auch ziemlich gut, warum wir solche Begriffe wie „Quiet Quitting“, „innere Kündigung“, „keine Potentialentfaltung“ oder hohe Fluktuation haben. Die Mitarbeitenden werden nur bedingt in den Mittelpunkt gestellt. Und es wird nicht gefragt. Damit ist der Motor eines jeden Unternehmens (die Mitarbeitenden!) in Gefahr. Sprichwörtlich. Steigende Burnout-Raten, noch mehr Krankheitstage und eine prinzipielle Unzufriedenheit bei den Mitarbeitenden. Damit auch nach extern der eigene Fachkräftemangel.
Diese Erkenntnis erklärt vieles. Nun könnten wir das so stehen lassen, oder wir erarbeiten Ideen, wie wir das verändern können.
Ideen
Denn das zeigen die Zahlen: wenn wir als Unternehmen nicht wissen, wie es um Kosten und Gewinnverluste bestellt ist, dann haben wir uns damit nur wenig auseinandergesetzt. Das bedeutet auch, dass wir als Unternehmen nicht wissen, wie es unseren Mitarbeitenden wirklich geht. Wir wissen nicht, wo die Potentiale jedes Einzelnen liegen, wo individuelle Stärken sind und wie wir diese fördern können. Auch haben wir keinen Rahmen für intrinsische Motivation geschaffen.
Wenn nicht bekannt ist, was Recruiting kostet, und welchen Stellenwert (Lesetipp: Recruiting – zwischen den Stühlen (Teil III)) dieser Bereich haben sollte, dann gibt es sowas wie einen „Fachkräftemangel“.
„Recruiting ist die wichtigste Einheit bei uns; wenn es im Recruiting nicht läuft, dann läuft der Rest nicht!“
Geschäftsleitung eines Unternehmens
Wenn Fachbereiche nicht wissen, was ihre wirklichen Aufgaben sind, wen sie dafür benötigen und vor allem, wen sie bereits im Team haben, dann ist es ein großes Problem das zukünftig passende Talent zu finden.
„Fachbereiche wissen oftmals gar nicht, was sie brauchen!“
Recruiting
Suche die Aufgaben, die zu dir passen!
Jetzt liegt es also an uns allen, dazu Ideen zu entwickeln. Wenn wir nun den Menschen im Mittelpunkt denken, uns reflektieren und jede:r für sich die zu sich passenden Aufgaben heraussuchen kann, was würden wir damit erreichen? Die Idee findet sich in der Methodik „Rethinking Job**“ wieder.
Das wäre der Rahmen für intrinsische Motivation: die Aufgaben übernehmen, in denen jede:r die eigenen Stärken hat und wo die (zukünftigen) Potentiale entfaltet werden können.
Wenn dies in jedem Team passiert, kann schnell gesehen werden, welche Aufgaben wirklich ins Team gehören, welche Stärken und Potentiale vorhanden sind und vor allem was fehlt. Genau dann kann ich als Unternehmen sagen, welche Aufgaben zu besetzen sind – nicht welche Positionen (darüber schreibe ich noch in einem anderen Artikel).
Das bedeutet aber auch, dass wir uns alle davon lösen müssen, dass jede:r alles kann oder können sollte. Dem ist nicht so, denn wir alle haben unterschiedlichste Ausprägungen, Stärken, Interessen und Wünsche.
Fazit
Wir haben festgestellt, dass nur 20% der Unternehmen eine ungefähre Übersicht über Kosten im Recruiting und wie es um die Mitarbeitenden bestellt ist, haben. Gewinnverluste und detailliertere Übersichten sind eher Mangelware.
Wir haben an einem Beispiel gesehen, dass es auch zu ziemlich hohen Zahlen führt, dass wir Gelder verschenken (kaufmännische Betrachtung). Und wir haben gesehen, dass es auf den individuellen Menschen ankommt und wir uns auf genau eben diesen konzentrieren sollten.
Auch haben wir eine Idee mitbekommen, wie wir einen Rahmen für (intrinsische) Motivation schaffen, wie die individuellen Stärken gestärkt und die Potentiale entfaltet werden können.
Zu guter Letzt können wir noch mitnehmen, wie wir unserem eigenen Fachkräftemangel begegnen können. Jetzt heißt es die Komfortzone verlassen, anpacken und selbst reflektiert starten.
*: der HR-Kalkulator berechnet die Kosten und Gewinnverluste für Quiet Quitting, innere Kündigung, negative Aufgaben, Fluktuation, keine Potentialentfaltung, Recruiting, Krankheitstage und Neueinstellungen. Dazu dienen statistische Zahlen als Basis, die dann mit individuellen Zahlen von Unternehmen angereichert werden können. Bei Interesse schreibt mir!
**: Die Rethinking Job Methode wurde entwickelt, um die Bindung und Zufriedenheit bei Mitarbeitenden zu erhöhen, die richtigen Talente zu den passenden Aufgaben zu bringen und Stellenanzeigen abzuschaffen. Sie beruht auf Ansätzen aus Coaching, Glücksforschung, Wertesystemen und Holokratie. Wenn euch mehr dazu interessiert, schreibt mich gerne an.
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