Arbeitende Menschen an einem Fließ0band

Wer auf Mehrarbeit setzt, hat KI nicht verstanden

by

Der Ruf wird wieder lauter: Deutschland müsse mehr arbeiten. Ein Feiertag weniger, mehr Stunden, mehr Output – so soll die Wirtschaft wieder auf Kurs gebracht werden. Es klingt nach einem einfachen Hebel in einer komplexen Krise. Doch ist es wirklich so simpel? Oder steuern wir damit nicht eher geradewegs in eine Sackgasse?

Aktueller Auslöser ist ein Vorschlag, einen Feiertag zu streichen – das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) rechnet vor: Das würde bis zu 8,6 Milliarden Euro zusätzliche Wirtschaftsleistung pro Jahr bringen. Ein stattlicher Betrag. Und doch: Wer nur auf solche kurzfristigen Effekte setzt, verpasst die eigentliche Debatte. Denn sie müsste lauten: Wie können wir intelligenter arbeiten – statt einfach nur mehr?

Rückwärts gedacht: Mehr Arbeit = mehr Leistung?

Dieser Gedanke – mehr Arbeit bringt automatisch mehr Wirtschaftskraft – stammt aus einer Zeit, in der der Mensch das einzige Werkzeug war. Damals, in der Industriegesellschaft, funktionierte das Prinzip vielleicht noch. Heute, im Zeitalter der Digitalisierung, Künstlichen Intelligenz und Wissensarbeit, ist es nicht nur überholt – es ist gefährlich.

Warum? Weil er den Menschen wieder zur „billigsten Lösung“ macht. Statt sich mit Prozessen, Technologien und echter Innovation zu beschäftigen, greifen viele Unternehmen reflexartig zur einfachsten Maßnahme: Der Mensch soll es richten. Mehr arbeiten, mehr leisten, mehr geben.

Doch das ist nicht nur ökonomisch unklug, sondern auch gesellschaftlich und kulturell ein echtes Problem. Es degradiert Mitarbeitende zur menschlichen Ressource – ein Begriff, der ohnehin dringend in Rente geschickt gehört.

Was wäre, wenn wir smarter statt länger arbeiten?

Stellen wir die Frage einmal anders:
Was wäre, wenn wir denselben wirtschaftlichen Output mit weniger Arbeitszeit erreichen könnten – dank Künstlicher Intelligenz?

Die Technologie ist da. Die Zahlen sind da. Die Potenziale sind riesig.

Die Rechnung

Deutschland hat rund 45 Millionen Erwerbstätige, mit einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 34 Stunden pro Woche. Das ergibt etwa 79,5 Milliarden Arbeitsstunden pro Jahr.

Wenn KI nur 20 % dieser Zeit effizienter gestaltet – durch Automatisierung von Routineaufgaben, bessere Entscheidungen oder Reduktion von Koordinationsaufwand –, reden wir von 15,9 Milliarden Stunden.

Multipliziert mit einem durchschnittlichen Bruttostundenlohn von 25 Euro ergibt das einen potenziellen wirtschaftlichen Effekt von 397,5 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist natürlich keine reine Einsparung – aber es zeigt das ökonomische Potenzial, das in effizienterer Arbeit steckt.

Realistisch gerechnet: Was bringt KI wirklich?

Wir gehen nicht davon aus, dass diese Zeit „einfach verschwindet“. Sondern:
Wenn wir durch KI-Einsatz auf diesen 20 % der Zeit eine Effizienzsteigerung von 30 % erzielen, ergibt sich ein realer Produktivitätsgewinn von:

15,9 Mrd. Stunden × 30 % × 25 € = 119,3 Milliarden Euro pro Jahr

Ganz ohne Mehrarbeit. Ganz ohne sozialen Kollateralschaden. Dafür mit einem echten Blick in die Zukunft.

Gegenrechnung: Feiertag streichen = 8,6 Milliarden Euro

Laut dem IW bringt ein gestrichener Feiertag in Deutschland bis zu 8,6 Milliarden Euro mehr Wirtschaftsleistung pro Jahr. Das ist in etwa das, was man durch einen zusätzlichen Arbeitstag aller Erwerbstätigen erreichen würde.

Gegenübergestellt:

MaßnahmeZusätzlicher Effekt p.a.Aufwand
1 Feiertag streichen8,6 Milliarden €Ein Tag Mehrarbeit für alle
20 % KI-Unterstützung119,3 Milliarden €Smartere Prozesse, kein Mehraufwand

Der KI-Hebel ist damit fast 14x stärker.

Warum KI (noch) nicht funktioniert – und woran es liegt

Aber warum sehen wir diesen Effekt noch nicht?
Ganz einfach: Weil wir nicht konsequent genug investieren.

Laut Gartner scheitern rund 85 % aller KI-Projekte. Nicht, weil die Technologie nicht funktioniert – sondern weil sie ohne Strategie und ohne Einbindung der Menschen implementiert wird​.

KI ist kein Sparprogramm. KI ist eine strategische Entscheidung.

Sie funktioniert nur, wenn wir den Menschen mitdenken:

  • Daten müssen von Menschen interpretiert und trainiert werden.
  • Mitarbeitende müssen verstehen, wie KI ihnen hilft – sonst blockieren sie aktiv oder passiv.
  • Prozesse müssen angepasst, Kultur muss entwickelt, Führung muss neu gedacht werden.

Und jetzt?

Statt über Feiertage zu diskutieren, sollten wir darüber sprechen, wie Arbeit durch Technologie sinnvoller, menschlicher und effizienter wird.

Wir stehen vor einer Entscheidung:
Wollen wir mehr schuften – oder endlich intelligenter arbeiten?

Wer jetzt noch glaubt, dass ein zusätzlicher Arbeitstag die Lösung ist, denkt kurzfristig. Unternehmen, die dagegen in echte Effizienz und digitale Souveränität investieren, sichern sich langfristige Wettbewerbsfähigkeit – und das Vertrauen ihrer Mitarbeitenden.

Denn eines dürfen wir nie vergessen:
Innovation beginnt nicht mit Technologie – sondern mit der Entscheidung, neue Wege zu gehen.

Ein paar Denkanstöße zum Abschluss

  • Was wäre, wenn wir den Feiertag behalten – aber durch KI so produktiv werden, dass wir uns noch einen zusätzlichen leisten könnten?
  • Was wäre, wenn Führung nicht mehr nur Kontrolle bedeutet, sondern Gestaltung von guter, sinnvoller Arbeit?
  • Was wäre, wenn Unternehmen ihre Ressourcen nicht nur in Menschen als Arbeitskraft, sondern als Gestalter:innen ihrer Zukunft investieren würden?

Fazit

KI ist kein Risiko. Der Verzicht auf sie ist es.
Wir brauchen keine Debatte über Mehrarbeit – wir brauchen eine über klügere Arbeit.

Wer heute noch glaubt, der Mensch sei die günstigste Ressource, hat den Wert von Kreativität, Innovation und Motivation nicht verstanden.

Wer heute investiert – in KI, in Kompetenzen, in Kultur –, der arbeitet morgen nicht mehr mehr, sondern besser.

Und das ist nicht nur ökonomisch sinnvoll.
Es ist menschlich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert