Ein stilisierter Roboter-Arm und eine menschliche Hand, die sich fast berühren – angelehnt an Michelangelos Die Erschaffung Adams, aber modern. Zwischen den Fingern: ein Funke – als Symbol für Verbindung, nicht für Ersatz.
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KI braucht mehr Mensch

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Was wir (nicht) über KI verstehen

Künstliche Intelligenz ist überall: in Meetings, in Präsentationen, in Strategiepapiere eingearbeitet, als Buzzword in Recruiting-Texten, auf LinkedIn handelt gefühlt jeder zweite Beitrag davon – aber selten ist KI dort, wo sie eigentlich hingehört: in ein realistisches Verständnis davon, was sie wirklich bedeutet.

Denn: KI ist keine Technologie.
Sie ist ein kultureller, strategischer und struktureller Wendepunkt. Und genau das macht sie so herausfordernd.

Aktuell nähern wir uns dem Thema KI fast ausschließlich aus technischer Perspektive:
Welche Tools gibt es? Welche Prozesse lassen sich automatisieren? Wie viele Stellen könnten wir einsparen?

Ich selbst halte regelmäßig Workshops – und die erste Frage ist oft: „Welches Tool sollen wir nehmen?“
Meine Antwort ist dann meistens: „Was wollt ihr denn erreichen?“
Denn ohne Zielbild ist jede Tooldiskussion vergeblich.

Und genau das ist das Problem:
Wir denken zu kurz. Und das ist riskant.

Wer KI nur als Tool betrachtet, übersieht das Wesentliche: die Menschen.
Die, die mit ihr arbeiten sollen. Die, die sie verstehen müssen. Und die, deren Motivation, Engagement und Realität sich längst verändert haben – nicht primär durch KI, sondern durch eine Arbeitswelt, die schneller, komplexer und widersprüchlicher geworden ist.

Dazu kommen Missverständnisse im Umgang mit KI:
Unternehmen investieren in Technologie – aber ohne klares Ziel. Beschäftigte spüren den Wandel, können ihn aber nicht einordnen. Führungskräfte sollen gleichzeitig transformieren, motivieren, managen.

Wir haben kein Technologieproblem. Wir haben ein Kultur-, Führungs- und Verständnisthema. – Stefan Wickenhäuser, CEO Rethinking Job GmbH

In diesem Beitrag zeige ich anhand aktueller Studien, wo wir heute wirklich stehen – und warum wir dringend einen anderen Weg einschlagen müssen. Denn KI ist kein Ersatz für den Menschen.
Aber sie kann ein Verstärker sein – wenn wir sie richtig einsetzen.

Drei Realitäten – Was Studien über unseren Umgang mit KI und Arbeit zeigen

1. Die TÜV-Studie: Wir fühlen uns unersetzlich – und verstehen KI trotzdem nicht

Die repräsentative Befragung des TÜV-Verbands (2024) zeigt ein deutliches Spannungsfeld:
69 % der Erwerbstätigen in Deutschland glauben, dass sie durch KI nicht ersetzbar sind. Gleichzeitig geben 41 % an, dass sie nicht wissen, wie Künstliche Intelligenz in ihrem eigenen Unternehmen überhaupt eingesetzt wird.

Ein weiterer Befund: 55 % der Befragten kennen sich mit der Funktionsweise von KI kaum oder gar nicht aus.

Was hier sichtbar wird, ist ein tiefes Missverständnis – ein Auseinanderdriften von Selbstwahrnehmung und digitaler Realität. Menschen glauben, sicher zu sein, ohne zu verstehen, was um sie herum eigentlich passiert. Das kann beruhigend wirken – oder gefährlich werden. Denn es macht eine ehrliche Auseinandersetzung mit Veränderung nahezu unmöglich.

In meinen Gesprächen mit Verantwortlichen und Mitarbeitenden in Unternehmen fällt häufig auf:
Es herrscht nicht zu wenig Interesse an KI – sondern zu viel Unsicherheit.
Nicht selten liegt die größte Hürde nicht in der Technologie selbst, sondern in der Kommunikation darüber. Wo keine Klarheit herrscht, entstehen Mythen. Und wo Mythen regieren, fällt Veränderung schwer.

Die TÜV-Zahlen zeigen also:
Wir starten mit einem massiven Gap – zwischen Wahrnehmung, Wissen und Wirklichkeit.
Und dieses Gap ist nicht technisch zu lösen, sondern kulturell.

2. Die SSRN-Studie: Der Hype entlarvt – Warum KI-Initiativen so oft scheitern

In der internationalen Studie „The Mirage of AI Transformation“ von Zejnilovic et al. (SSRN, 2024) wurden über 250 KI-Initiativen aus unterschiedlichen Branchen analysiert. Das Ergebnis ist ernüchternd: Nur 15 % der untersuchten KI-Projekte lieferten langfristig nachweisbaren Mehrwert.

Der Hauptgrund für das Scheitern?
Nicht die Technologie – sondern die mangelnde strategische Einbettung.
Die Autor*innen nennen drei zentrale Ursachen:

  • Unklare Zielsetzungen
  • Fehlende interne Kommunikation
  • Geringe Einbindung der Mitarbeitenden

Die Studie spricht von einem „AI Mirage“ – einer Illusion, die dadurch entsteht, dass Unternehmen Künstliche Intelligenz als Allheilmittel begreifen, ohne wirklich zu wissen, wofür sie sie einsetzen wollen. KI wird eingeführt, weil „man das jetzt so macht“. Doch ohne strategischen Anker bleibt sie isoliert, wirkungslos – oder sorgt sogar für zusätzliche Komplexität.

Besonders aufschlussreich: Die Unternehmen, die erfolgreich waren, hatten klare Ziele, messbare Anwendungsfälle – und eine aktive Beteiligung der Mitarbeitenden.

Damit ist die Brücke zur TÜV-Studie schnell geschlagen:
Während dort ein großes Wissensdefizit auf Seiten der Beschäftigten sichtbar wird, zeigt sich hier: Auch Unternehmen selbst wissen oft nicht genau, was sie mit KI erreichen wollen.

Das ist nicht nur ineffizient – das ist gefährlich.
Denn KI kostet nicht nur Geld. Sie kostet Vertrauen, wenn sie falsch eingesetzt wird. Vertrauen der Mitarbeitenden, der Kund*innen – und am Ende das Vertrauen in die eigene Veränderungsfähigkeit.

3. Die Gallup-Studie: Engagement im Keller – und Führung am Limit

Die Gallup-Studie „State of the Global Workplace 2025“ beschreibt ein alarmierendes Bild – auch und besonders für Deutschland:

Nur 14 % der Mitarbeitenden in Deutschland fühlen sich emotional an ihr Unternehmen gebunden. Damit liegt Deutschland deutlich unter dem internationalen Schnitt – und auf einem der hintersten Plätze in Europa.

Gleichzeitig steigt die Zahl derjenigen, die innerlich bereits gekündigt haben:
21 % der Beschäftigten gelten laut Gallup als „actively disengaged“ – sie haben die Beziehung zu ihrem Job faktisch beendet, ohne zu gehen.

Besonders auffällig ist auch die Lage der Führungskräfte.
Über 40 % der Manager*innen in der DACH-Region berichten von dauerhaft hohem Stresslevel.
Viele sind überfordert, gleichzeitig mit Transformation, Führung, Mitarbeiterbindung und Prozessoptimierung betraut – und dabei oft ohne ausreichende Unterstützung.

Gallup bringt es auf den Punkt:

„Manager engagement is the key to reversing declining productivity, improving employee wellbeing and unlocking economic potential.“

Was hier sichtbar wird, ist ein massives strukturelles Problem:
Wir sprechen über Effizienz, Prozesse und Technologien – aber wir ignorieren den Zustand der Menschen, die das Ganze tragen sollen.

Und noch etwas wird deutlich:
Engagement ist keine Nice-to-have-Kategorie. Es ist ein zentraler Wirtschaftsfaktor. Gallup schätzt, dass weltweit jährlich rund 438 Milliarden US-Dollar an Produktivität verloren gehen, weil Mitarbeitende nicht engagiert sind – oder innerlich gekündigt haben.

Das ist kein HR-Thema.
Das ist ein strategisches Risiko.

Was falsch läuft – Warum KI (noch) nicht funktioniert

Die drei Studien zeigen in Summe ein klares Bild:
Es fehlt nicht an Technologie. Es fehlt an Ziel, Kontext und Beteiligung.

1. Wir denken KI zu technisch.

Die Debatte wird oft auf Tools und Automatisierung verengt. Doch wer KI nur als Mittel zur Effizienzsteigerung betrachtet, verkennt ihr eigentliches Potenzial: nämlich die Möglichkeit, Arbeit grundlegend neu zu gestalten.
Nicht schneller – sondern sinnvoller.

Technologie ist kein Selbstzweck. Sie muss Teil einer größeren Idee sein.

2. Wir handeln, bevor wir denken.

In vielen Unternehmen wird KI eingeführt, weil „man das jetzt macht“. Doch ohne Zielbild, ohne Beteiligung und ohne Kommunikation bleibt sie isoliert – oder scheitert sogar.
Die SSRN-Studie zeigt: Nur 15 % der untersuchten KI-Initiativen erzielten nachweislich nachhaltigen Geschäftsnutzen.
Die überwiegende Mehrheit blieb entweder wirkungslos oder konnte keine langfristigen Ergebnisse vorweisen.

Und noch schlimmer: Wo KI einfach „drübergelegt“ wird, ohne die Menschen mitzunehmen, wächst nicht nur der Widerstand. Es entsteht Frust – und damit ein kulturelles Risiko.

3. Wir sprechen über Prozesse – nicht über Menschen.

Die Gallup-Daten belegen eindrucksvoll: Die Menschen in den Unternehmen sind müde, überfordert oder innerlich längst raus. Führungskräfte am Limit. Mitarbeitende ohne Perspektive. Und das in einem Moment, in dem wir mehr Veränderung wagen müssen als je zuvor.

KI trifft also auf eine Belegschaft, die weder vorbereitet noch eingebunden ist.
Und auf Führungssysteme, die keine Antwort auf diese Lücke haben.

4. Wir entscheiden top-down – oder verlieren uns im bottom-up.

Viele Organisationen versuchen sich entweder an zentral gesteuerten Innovationsprogrammen oder an dezentralen Piloten „im Kleinen“. Doch beides greift zu kurz.

Top-down allein funktioniert nicht – weil die Nähe zur realen Arbeit fehlt.
Bottom-up allein auch nicht – weil es keine Richtung gibt.

Was fehlt, ist die Verbindung beider Perspektiven: Strategie und Alltag. Zielbild und Beteiligung.

Was wir brauchen – Der ganzheitliche KI-Ansatz

Wenn wir ehrlich sind: Wir sprechen zu oft über KI, als wäre sie ein weiteres Software-Update.
Doch das greift zu kurz. KI ist kein Add-on. Sie verändert die Grundlagen unserer Arbeit. Und genau deshalb braucht es auch einen grundlegend anderen Umgang damit.

1. KI als Verstärker – nicht als Ersatz

Künstliche Intelligenz kann Prozesse effizienter machen, Entscheidungen stützen und repetitive Aufgaben übernehmen – ja. Aber ihr wahres Potenzial liegt woanders: im Zusammenspiel mit dem Menschen.

KI kann Muster erkennen. Der Mensch kann Bedeutung geben.
KI kann Vorschläge machen. Der Mensch kann sie bewerten.
KI kann entlasten. Der Mensch kann gestalten.

Aber das funktioniert nur, wenn wir Menschen nicht als „Kostenstelle“ im System sehen, sondern als aktiven Teil davon – als diejenigen, für die KI gemacht ist.

2. Der Mensch im Mittelpunkt – Arbeit als sinnstiftende Realität

Wir haben gesehen: Die Menschen in Unternehmen sind oft überfordert, nicht eingebunden, ohne klares Zielbild. Die Gallup-Daten sprechen eine deutliche Sprache. Das bedeutet: Wenn wir KI einführen wollen, brauchen wir zuerst einen stabilen kulturellen Boden.
Engagement, Klarheit und Beteiligung sind keine Soft-Faktoren – sie sind Fundament.

3. Top-down UND Bottom-up – nicht entweder oder

In meinem eigenen Beitrag auf #VeraenderungStarten habe ich genau diese Perspektive beschrieben:
Warum es nicht reicht, wenn KI nur von oben kommt. Und warum es nicht reicht, wenn sie nur im Kleinen getestet wird.

„Wir brauchen beides: die strategische Verankerung und die operative Beteiligung. Eine Richtung – und Räume zum Mitgestalten.“ – Stefan Wickenhäuser, CEO Rethinking Job GmbH

Top-down bedeutet: KI ist Teil der Unternehmensstrategie. Klar definiert. Mit einem Zielbild.
Bottom-up bedeutet: Mitarbeitende werden ernst genommen. Sie testen, bewerten, verbessern – und geben wertvolles Feedback.

Das ist keine Utopie. Das ist gesunde Transformation.

4. Mensch, Arbeit, Business – neu gedacht

Die Zukunft liegt in der Verbindung dieser drei Elemente.
Wir können das auf eine Formel bringen:

People. Purpose. Practice.

  • People – der Mensch im Mittelpunkt. Mit Stärken, Fragen, Verantwortung.
  • Purpose – Arbeit mit Sinn. Aufgaben, die zum Unternehmen und zum Menschen passen.
  • Practice – Umsetzung im Alltag. Klar, machbar, realitätsnah.

Diese Kombination ist kein Buzzword-Bingo. Sie ist das, was Unternehmen in der KI-Transformation wirklich brauchen.

Fazit – KI braucht Kontext. Und Haltung.

Wir stehen an einem Wendepunkt.
Nicht, weil KI kommt – sondern weil sie schon da ist. Und weil wir uns immer noch schwer damit tun, sie richtig einzuordnen.

Wir reden über Technologie, aber vergessen die Menschen.
Wir investieren in Tools, aber nicht in Vertrauen.
Wir schreiben Strategiepapiere, aber hören nicht zu.

Die Studien zeigen es deutlich:
Ob DACH, international oder organisationsintern – wir haben kein Erkenntnisproblem. Wir haben ein Handlungsproblem.

Was wir brauchen, ist ein ganzheitlicher Blick.
Ein Zusammendenken von Strategie und Kultur. Von Technologie und Beteiligung. Von Mensch, Arbeit und Business.

Oder anders gesagt:

Der Mensch muss im Mittelpunkt unseres Handelns stehen.
KI ist dabei ein Werkzeug – ein Verstärker. Kein Ersatz.
– Stefan Wickenhäuser, CEO Rethinking Job GmbH

Um das sinnvoll und wirtschaftlich zu gestalten, braucht es aber auch die unternehmerische Perspektive.
Ein Zielbild. Eine Richtung. Einen Rahmen.

Genau darin liegt die Stärke eines kombinierten Ansatzes:
Top-down gibt Orientierung.
Bottom-up bringt Leben hinein.

Nur gemeinsam führt es zum Erfolg. Nur gemeinsam gelingt der Wandel.

Quellen

  1. TÜV-Verband (2024)
    Künstliche Intelligenz im Job: Mehrheit hält sich für unersetzlich
    Pressemitteilung vom 15. April 2024
  2. SSRN Working Paper (2024)
    Zejnilovic, L. et al. – The Mirage of AI Transformation
    SSRN Abstract & Download
  3. Gallup (2025)
    State of the Global Workplace – 2025 Report
    Originalreport von Gallup
  4. Eigenbeitrag: #VeraenderungStarten (2024)
    Top-down oder Bottom-up – welcher KI-Ansatz ist der richtige?
    Veröffentlichung auf VeraenderungStarten.de

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