Vorwort
Manchmal brauchen Beiträge Zeit. Zeit, dass sie geschrieben werden. Zeit, dass die Idee dafür auch mit Inhalten befüllt werden kann. Und manchmal auch die Zeit an sich. Für diesen Beitrag ist es nun an der Zeit.
Die Frage
Diese Erfahrung haben bestimmt schon viele Leser:innen gemacht: Der erste Tag im neuen Job – wie sprechen die Menschen hier untereinander? Du oder Sie?
Im Unternehmen ist das eine sehr spannende Frage! Ich zeige hier vier Beispiele und erläutere, was das jeweils mit der Firmenkultur zu tun hat. Denn genau darauf kommt es nämlich an: die Kultur!
Ursprung
Bevor ich aber zu den Beispielen komme, woher kommt eigentlich das „Sie“?
Es handelt sich beim „Sie“ um eine Höflichkeitsform. Wenn man nun Höflichkeitsform ein wenig weiter betrachtet, kommt man automatisch zu dem Wort Ursprung „höfisch„. Es stammt also von der Lebensart, die am Hofe einer Monarchie bestand, ab.
Das „Sie“ begann also zu einer Zeit, in der wir am Hofe waren und mit Königinnen und Königen speisten. Oder eben nur in ihrem Bereich nebenher lebten. Es war also ein zum Hofe „dazugehören“. Eigentlich ganz gut für die heutige Zeit und um im Unternehmen „dazuzugehören“. Wobei es vielleicht auch ein wenig aus der Zeit gekommen ist?
Schauen wir uns die vier Beispiele an. Es handelt sich bei allen Beispielen um reale Erfahrungen und wurden in der ein oder anderen Form anonymisiert.
Beispiel 1: Konservativ
Im ersten Beispiel war das „Sie“ vorherrschend. Es handelte sich um ein konservatives Unternehmen. Es war klassisch strukturiert, es gab Vorstände und Karrierepfade. Die Arbeitszeit war eher bürokratisch (pünktliches Ende). Der Kleidungsstil war auch mehr geprägt durch „Anzug und Kostüm“ (bewusst habe ich hier Kostüm an zweite Stelle gesetzt). In den jeweiligen Abteilungen wurde auch gerne mal das „Du“ verwendet. Das Unternehmen gibt es so heute nicht mehr. Ob es am „Sie“ lag – wohl eher nicht.
Was in diesem Unternehmen auffiel, war, dass das Unternehmen an sich eher konservativ war. Aber es sah sich selbst nicht so. Nach außen war eine andere Darstellung wahrzunehmen. Es gab sich zukunftsorientiert. Nur wurde dies intern nicht vermittelt und nicht konsequent umgesetzt. An der Außenwirkung wurde gearbeitet, am Inneren des Unternehmens nicht. Somit waren auch die dort arbeitenden Menschen eher konservativ und neue Mitarbeiter:innen verfielen entweder in den konservativen Trott oder waren relativ schnell wieder weg. Die kommunizierte und auch in der Vorstellung existierende Kultur hat nicht mit der gelebten übereingestimmt.
Beispiel 2: die Rolle „Führung“
Das zweite Unternehmen hat das „Sie“ bewusst gewählt. Gerade die Führungskräfte wurden dazu angehalten, dass Sie ihre Mitarbeiter:innen „Siezen“. Damit man hier eine bessere Struktur und auch gewisse Distanz hat. Es wurde von der Unternehmensleitung nicht gerne gesehen, wenn Menschen mit Führungsaufgaben geduzt haben. Auch wenn sich Menschen mit Führungsaufgaben vorher schon kannten und zum Unternehmen dazukamen, wurde sind hier alle bewusst auf das „Sie“ gewechselt.
Durch diese gespielte „Rolle“ wurde die persönliche Authentizität eingebüßt. Die Menschen im Unternehmen haben alle nur noch ihre Rolle gespielt. Die Unternehmenskultur wurde also in einer Richtung gelebt, die nicht auf einem authentischen und vertrauensvollen Miteinander beruhte. Darunter litt der Zusammenhalt und es gab einzelne Bereiche, die anderen Bereichen erstmal immer mit Argwohn gegenüberstanden. Neue Mitarbeiter:innen hatten es schwer. Die Fluktuation war entsprechend hoch.
Beispiel 3: Hierarchie siezt manchmal
Im dritten Beispiel war das „Du“ prinzipiell schon vorhanden. Die Mitarbeiter:innen untereinander haben sich gedutzt. Aber wenn es um Hierarchien ging, kam hier schnell das „Sie“ auf. Zumindest dann wenn es um die Geschäftsleitung ging. Aber auch nicht konsequent. Denn die Geschäftsleitung hat bestimmt, wer geduzt und wer gesiezt wird. Und so haben sich durchaus auch Konstellationen in Terminen ergeben, in denen die Geschäftsleitung die einen geduzt und die anderen gesiezt hat. Ein wildes Durcheinander also.
Dieses wilde Durcheinander macht es für externe Menschen oder neue Mitarbeiter:innen sehr schwer. Wie verhält man sich selbst? Es löst Unsicherheiten aus und macht das politisch korrekte Bewegen zu einem Eiertanz. Die Unternehmenskultur hat auch hier eher einen konservativen Anstrich. Im operativen Kern wird dieser Anstrich dann aber bunt – hier gilt ja das „Du“. Damit wird Zeit für das menschliche Miteinander durch Unklarheiten und Hierarchien verschwendet, die durch klare, offene und nachvollziehbare Grundsatzaussagen einfach gehandhabt werden können.
Beispiel 4: Stellensuche mit Sie
Im letzten Beispiel geht es um ein Unternehmen, das neue Mitarbeiter:innen mit Aussagen wie „junges Team“ und „junge Talente“ sucht. Die Unternehmenssprache intern ist „Sie“.
Dieses letzte Beispiel zeigt wunderbar die Kluft zwischen gelebter und sichtbarer Kultur. In diesem Beispiel andersherum: viele Unternehmen sprechen neue Mitarbeiter:innen erstmal mit einem „Sie“ an, im Unternehmen selbst wird dann aber geduzt. Hier ist es andersherum. Wie Interessenten in diesem Beispiel reagieren werden? Sie werden im beidseitigen Bewerbungsprozess sich möglicherweise nicht weiter für das Unternehmen interessieren. Falls es ihnen bis zur Einstellung aber nicht aufgefallen ist, wird es in der Anfangszeit zu einer Bewährungsprobe für alle kommen. Denn die gelebte Kultur ist anders als sie erwartet wurde.
Interessant ist gerade an diesem letzten Beispiel, dass sich viele Menschen gar nicht erst angesprochen fühlen – denn wenn ich eine „Du“-Mentalität will (und dies in vielen Unternehmen und Stellenausschreibungen bereits Gang und Gäbe ist), dann werde ich mich nicht auf eine „Sie“-Stelle bewerben.
Fazit
Wenn ich unsere heutige Arbeitskultur betrachte, stelle ich immer wieder fest, dass wir nach alten Regeln arbeiten und leben. Die Hierarchie und (Arbeits-) Zeit ist da ganz vorne mit dabei, dicht gefolgt von der Karriere. Und eben auch das „Sie“ in der Kultur.
Das „Sie“ ist meist auch dann vorzufinden, wenn ein Unternehmen sehr hierarchisch orientiert ist und ein „klassischer Karrierepfad“ besteht. Es handelt sich also oftmals um konservative Unternehmen.
Dies ist natürlich nicht schlecht. Wenn dies als Unternehmenskultur gewollt ist, ist das so. Dem sollte man als Unternehmen aber offen und bewusst gegenüber stehen. Denn die Unternehmenskultur hat einen Einfluss auf das gesamte Unternehmen (vgl. „Home Office als Chance verstehen„).
Aber jeder kann sich die Frage stellen, warum das „Sie“ benutzt wird, was es für eine Wirkung hat und wie es sich im Unternehmen verhält. Schafft es Unterschiede? In den Werten steht aber, dass man sich auf Augenhöhe begegnet? Dann solltet ihr etwas ändern!
Heißt im Enddefekt, dass es auf die Authentizität der Unternehmenskultur und der gelebten Werte ankommt. Alleine diese Betrachtung ist das „Sie“ und die Frage nach dem „Du“ wert!
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