„Hoch die Hände, Wochenende!“ – meine Tochter saß eines Abends am Esstisch und ließ diesen Satz fast beiläufig fallen. Ich glaube es war ein Dienstag. Ich musste lachen. Und dann kam das Grübeln.
Woher hat sie das? Kindergarten. Natürlich. Von den Erzieher:innen? Nein, von anderen Kindern. Aha. Und die? Wahrscheinlich von ihren Eltern.
Ein paar Tage später sitze ich mit Elternbeiräten beim Abendessen. Das Gespräch kommt – wie so oft – auf „die Arbeit“. Ein Elternteil meinte, dass der Spruch durchaus von ihnen stammen könnte. Sie sagt: „Unter der Woche arbeiten wir beide, eins ist in der Schule, das andere im Kindergarten – am Wochenende machen wir etwas als Familie zusammen – das ist einfach anders als unter der Woche.“ Verständlich. Schön sogar. Und trotzdem bleibt etwas hängen.
„Feiert ihr den Wochenstart auch irgendwie?“, frage ich. Schweigen. „Nö.“ Klar, warum auch? Montag ist halt… Montag.
Aber genau da fängt’s an.
Prägung beginnt früher, als wir denken

Wir haben vor kurzem von Bekannten einen Schwung Kinderkleidung bekommen. Darunter ein Kleid mit der Aufschrift „Finally Friday“. Ein schönes Kleid. Aber, es ist eben auch ein Statement.
Denn die Woche hat in unserer Gesellschaft ab Mittwoch eine neue Dramaturgie:
- Mittwoch ist „Bergfest“
- Donnerstag ist „kleiner Freitag“
- Freitag ist „endlich Wochenende“
Und was ist Montag? „Montags, der Weg in die Arbeit“ – kennt ihr das Meme mit dem Eisbären, der sich über eine Eisscholle schleppt? Hängt oft in Kaffeeküchen an einem Schrank (Kleine Home Office Debatte gefällig?).
Genau dieses Bild geben wir unseren Kindern mit. Und nein, das ist kein Zufall. Das ist tief verwurzelte Kultur. Das ist frühkindliche Prägung. Wenn wir zuhause sagen: „Ich muss noch arbeiten…“, dann hören das Kinder. Und sie verstehen es. Nicht im vollen Kontext. Aber genug, um zu lernen: Arbeit = Müssen.
Müssen, Leiden, Aushalten
„Ich muss noch schnell meine Mails checken.“
„Ich muss noch diesen einen Call machen.“
„Ich muss morgen früh raus – da ist ein wichtiges Meeting.“
Müssen. Müssen. Müssen.
Kinder übernehmen diese Sprache. Und mit ihr übernehmen sie unser Bild von Arbeit. Ein Bild, das geprägt ist von Durchhalten, von Montag-bis-Freitag-überleben, von „endlich Wochenende“.
Was wir ihnen damit eigentlich sagen: Arbeit ist etwas, das man macht, um durchzukommen. Kein Raum für Freude. Kein Raum für Sinn. Kein Raum für Neugier.
Und dann wundern wir uns, dass junge Menschen wenig Begeisterung für klassische Arbeitsmodelle aufbringen? Really?
Arbeiten wir an dem, was wir vorleben?
Ich frage mich manchmal: Wie viele Menschen arbeiten in Jobs, auf die sie wirklich Lust haben? Wie viele freuen sich auf den Montagmorgen?
Viele? Eher nicht.
Eine Studie von XING zeigte: Nur ein Drittel der Menschen in Deutschland kann im Job die eigenen Potenziale entfalten. Das bedeutet: Zwei Drittel sitzen in Meetings, schreiben Mails oder tippen in Systeme – ohne sich wirklich gesehen zu fühlen. Ohne Energie. Ohne Stolz.
Und dann haben wir Angst vor Veränderung? Dann haben wir Angst vor KI, als würde uns die Maschine das letzte bisschen Selbstwirksamkeit nehmen?
Paradoxer kann’s kaum werden
Viele Menschen haben Angst, ihren Job zu verlieren. Gleichzeitig erzählen sie dir beim dritten Getränk auf dem Sommerfest, dass der Job eigentlich nur wegen des Gehalts gemacht wird. „Ist halt so“, „Rentensicher“, „Muss ja jemand machen.“
Wenn du aber sowieso keine Erfüllung im Job findest – warum dann nicht für Veränderung offen sein? Warum nicht neue Wege suchen, Dinge ausprobieren, vielleicht auch mal mit Unterstützung einer KI?
„Es wirkt auf mich, als würden viele Menschen lieber in ihrer Unzufriedenheit verharren, als Veränderung zuzulassen – obwohl sie wüssten, dass etwas Positives daraus entstehen könnte.“ – Stefan Wickenhäuser
KI als Verstärker – nicht als Bedrohung
Nein, dieser Beitrag soll keine Lobeshymne auf künstliche Intelligenz werden. Aber ein kleiner Impuls sei erlaubt.
Denn ja, KI kann repetitive Aufgaben übernehmen. Sie kann Systeme durchdringen, Muster erkennen, Abläufe optimieren. Aber sie wird nie verstehen, warum deine Kollegin nervös ist vor dem Kundengespräch. Sie wird nicht spüren, dass ein Meeting kippt. Sie wird keine Kinder mit Kleidern in „Finally Friday“-Optik sehen und daraus ableiten, dass da ein gesellschaftliches Thema brodelt.
Was sie aber kann: uns entlasten. Uns Raum geben für das, was wirklich zählt – echte Gespräche, gute Ideen, kreative Lösungen.
Die Voraussetzung? Wir müssen es wollen.
Was willst du deinem Kind vorleben?
Zurück zum Esstisch. Zurück zu meiner Tochter. Wenn sie heute fragt, ob ich arbeiten „muss“, sage ich: „Ich darf arbeiten.“ Das klingt für manche nach Kalenderweisheit. Aber Sprache prägt Denken. Und Denken prägt Handeln.
Wenn wir wollen, dass unsere Kinder mit Freude lernen, mit Neugier die Welt entdecken, mit Begeisterung an Aufgaben wachsen – dann müssen wir es ihnen vorleben. Und das fängt mit unserer Haltung zur Arbeit an.
Zum Schluss: Was wäre, wenn…?
Was wäre, wenn Montag der Tag ist, an dem wir wieder gestalten dürfen?
Was wäre, wenn Arbeit nicht nur Verpflichtung, sondern Teil unserer Selbstverwirklichung wäre?
Was wäre, wenn wir sagen könnten: „Ich arbeite gerne – und freue mich trotzdem auf’s Wochenende“?
Dann würden Kinder vielleicht sagen:
„Hoch die Hände, Wochenstart!“
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